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Schweizer Fachzeitschrift
für Publishing und Digitaldruck


martin spaar Als Redaktoren der Zeitschrift Publisher sahen wir in den letzten zwanzig Jahren viele Schlagworte kommen und gehen. Interessanterweise sind viele nicht etwa deswegen verschwunden, weil es das damit Bezeichnete nicht mehr gibt, sondern vielmehr weil dies heute so selbstverständlich ist, dass damit im Produktmarketing kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist.

WYSIWYG als Triebfeder des DTP

Ein schönes Beispiel dafür ist WYSIWYG, das in den Anfängen des Desktop Publishing in der zweiten Hälfte der Achtziger Jahre ganz hoch im Kurs stand. Das Versprechen What You See Is What You Get schlug wie eine Bombe ein in einer Zeit, als herkömmliche Computer am Bildschirm nur fest definierte Schriftzeichen darstellen konnten. Erst der Apple Macintosh brachte 1984 als erster erschwinglicher Personal Computer eine grafische Oberfläche.

Der eigentliche «Witz» des damals geborenen Desktop Publishing bestand gerade darin, dass man Drucksachen ohne komplizierte Satzbefehle 1:1 am PC gestalten konnte, also quasi in der Druckvorschau. Und Aldus PageMaker war die Software, welche das WYSIWYG-Versprechen erstmals nicht nur für einfache Paint-Grafiken, sondern auch für komplexere Gestaltungen einlöste. Dies galt damals allerdings nur bezüglich Layout und Typografie, bei Farbe war man noch weit von einer verbindlichen Darstellung entfernt – die ersten Macs hatten ja überhaupt nur Schwarzweiss-Monitore!

Mit TrueColor in die Welt der Farben eintauchen

Als wir 1993 mit dem Publisher starteten, war Farbe im DTP noch immer eine riesige Herausforderung und TrueColor ein grosses Schlagwort. Damit konnten sich Produkte schmücken, welche in der Lage waren, 16 Millionen unterschiedliche Farben darzustellen und damit so fein zu differenzieren, dass das Auge bei Farbübergängen keine Abrisse mehr wahrnimmt. Eine TrueColor-Darstellung am Bildschirm setzte also eine Grafikkarte voraus, welche pro Pixel eine Farbtiefe von 24 Bit bieten konnte. Das wiederum verlangte nach einer entsprechend grossen Speicherkapazität beim Video-RAM. So reichten 8 MB Video-RAM – das kostete damals richtig Geld! – nur für eine TrueColor-Darstellung bis zu einer Auflösung von 1200 × 1024 Pixel.

Es war somit im damaligen DTP-Alltag durchaus üblich, dass man die Einstellungen der Grafikkarte der jeweiligen Tätigkeit anpasste: Bildbearbeitung bei 1200 × 1024 Pixel mit TrueColor – Layouten mit der Maximalauflösung von 1600 × 1200 Pixel und dafür auf 16 Bit reduzierter Farbtiefe.

Das Versprechen, Farben richtig dargestellt zu bekommen, war mit TrueColor-Grafikarten und -Druckern jedoch noch keineswegs gegeben. Dies bedeutete nur, dass 16 Millionen Farben darstellbar waren, nicht jedoch, dass diese auch von jedem Gerät identisch und korrekt wiedergegeben wurden. Dazu braucht es ja bekanntlich eine Kleinigkeit mehr, nämlich ein korrekt beherrschtes Farbmanagement.

PhotoStyler als Vorreiter des Windows-Farbmanagements

In dieser Hinsicht konnten wir 1994 in der zweiten Ausgabe des Publisher von einem Meilenstein berichten: Die neue Bildbearbeitungs-Software PhotoStyler 2.0, mit der Aldus gegen Adobes Photoshop antrat, brachte erstmals ein Farbmanagement-System für Windows mit. Dieses basierte auf Precision von Kodak, welches später in Windows 95 als Teil des Betriebssystems fest implementiert wurde.

Wir vom Publisher waren uns allerdings der Komplexität des Themas bewusst. Schliesslich standen damals noch keine allgemeinverbindlichen ICC-Farbprofile zur Verfügung. Vielmehr gab es ganz unterschiedliche CMS-Systeme verschiedener Hersteller, die bezüglich Farbprofilen je ihr eigenes Süppchen kochten, und der Umgang damit glich mehr einem Spiessrutenlauf denn einem verlässlichen Workflow.

Achtung Anwender!

So gaben wir unseren Lesern in unserem Fachartikel zum neuen PhotoStyler im Publisher 1-94 folgenden Ratschlag mit auf den Weg: «Trotz dieser rosigen Aussichten sollte sich jetzt nicht gleich jeder in das Abenteuer ‹Farbe› stürzen. Wir müssen ja nicht unbedingt die Fehler aus der DTP-Gründerzeit wiederholen, als das Setzen und Layouten zu einer Jekami-Disziplin im Sinne eines ‹Volkssports› zu verkommen drohte. Hier wie dort galt und gilt: Solide Grundkenntnisse sind durch nichts zu ersetzen, auch nicht durch noch so gute Software-Werkzeuge. Wer nicht die Bereitschaft mitbringt, sich sehr intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen, lässt besser die Finger davon. Ist diese Voraussetzung jedoch gegeben, so tun sich mit einem Werkzeug wie dem PhotoStyler 2.0 in der Tat vielversprechende Perspektiven auf. Man darf doch darauf hoffen, sich bei unbefriedigenden Resultaten wieder über die eigenen Unzulänglichkeiten ärgern zu dürfen, und nicht mehr nur über die des Computer-Systems ...»

Dem ist eigentlich auch nach zwanzig Jahren nicht mehr viel hinzuzufügen. Denn wenn in der Publishing-Branche auch viele neue Schlagwörter kommen und gehen werden, eines wird bestimmt auch in den nächsten zwanzig Jahren nichts an Aktualität einbüssen: das lebenslange Lernen!

Jubiläums-Umfrage

Mit diesem Beitrag beenden wir unsere Jubiläumsserie mit Rückblicken auf die letzen 20 Jahre. Eine für uns sehr wichtige Jubiläums-Aktion ist allerdings noch nicht abgeschlossen: Unsere Leserumfrage! Diese läuft noch bis zum 31. Dezember. Es würde uns sehr freuen, wenn Sie sich dafür einige Minuten Zeit nehmen. Sie helfen uns damit, den Publisher am Puls der Publishing-Szene weiterzuentwickeln und nehmen damit gleichzeitig am grossen Jubiläumswettbewerb mit vielen attraktiven Preisen teil.

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